Tag 7


Der letzte Tag.


Nach dem Frühstück begebe ich mich noch ein Mal zu meiner heißgeliebten Bucht. Ja, richtig gelesen: es ist meine Bucht. Meine ganz allein. Die Familien, Tauchschüler und verliebte Pärchen sind lediglich geduldete Gäste. Ein allerletztes Mal die Felsen unter den Füßen spüren, ein allerletztes Mal in das türkisblaue Wasser eintauchen. Es stimmt mich etwas traurig. Ab morgen tauch ich wieder unter der gewohnten Dusche mit Wellness Brause.

Man glaubt es kaum, aber meine Haut hat zuviel Sonne abbekommen. Ich muss aus der Sonne raus. Ich habe mich ohnehin kaum im Hotel aufgehalten. Also verbringe ich den Nachmittag am Pool unter einem großen blauen Sonnenschirm, mit kühlen Getränken und meinem Buch über Verrückte. Das Leben kann schon schön sein…

Später laufe ich zum Strand um mich von meinem Rettungsschwimmer zu verabschieden. Gestern Abend bin ich ausnahmsweise ins Internet gegangen. Ich habe mich schlau gemacht und herausgefunden wie man „ich wünsche Dir alles Gute“ auf Spanisch sagt. Es ist seltsam sich von einem Menschen zu trennen mit dem man nur einen schönen Abend hatte. Und ich hasse Abschiede. Deswegen mach ich es kurz. Ich sage ihm, dass ich am nächsten Morgen abreise. Er fragt um wie viel Uhr. Ich sage ihm, dass ich um halb zehn abgeholt werde. Er wünscht mir eine gute Reise. Mein großer Moment ist gekommen und ich kann mit meinem ermogelten Kenntnissen prahlen: „Mucha suerte y todos buena“. Er ist überrascht und lacht. Er weiß, dass es keine plumper Grußkarten Spruch ist. Er weiß, dass ich ihm damit einen glücklichen Ausweg für seine Probleme wünsche. Er nimmt meine Hand und lächelt. Leider kann ich nicht mehr wiedergeben was er genau sagt, aber ich habe es verstanden. Er wünscht mir, dass sich meine Geschichte zum Guten wendet und ich mein Glück finde. Ich würde am liebsten weinen. Doch ich reiße mich zusammen. Diesen Anblick möchte ich ihm ersparen. Ich finde mich nie so hässlich wie wenn ich weine: die angeschwollenen Augen, das verzerrte Gesicht, die wimmernden Lippen, einfach nur hässlich. Nee, so soll er mich nicht in Erinnerung behalten.



Mein Rettungsschwimmer.


Ich entferne mich mit schwerem Herzen. Es ist doch eigenartig wie wenige Stunden ihre Spuren hinterlassen können. Wahrscheinlich weil ich weiß: das hätte eine gute Freundschaft werden können. Und weil wir beide wissen: wir werden uns nicht mehr wieder sehen.  Meine Tränen weichen einem  Lächeln…

               

               





Ich beobachte zwei junge Menschen im Wasser. Ich erkenne die zwei Verliebten aus meinem Hotel. Er, der ausseht als würde er ein Bodybuilding Wettbewerb antreten, stand eines Abends neben mir an der Rezeption. Während er sich die Fernbedienung geben ließ und ich mich nach Bussen nach Palma erkundigte haben wir zwei Sätze miteinander gewechselt. Er schien nett zu sein und gar nicht so dumm wie zuerst eingeschätzt. Ich weiß Vorurteile sind schlimm. Aber ernsthaft: wer denkt beim Anblick von soviel Muskulatur nicht, dass bei dem ganzen Training die Hirnzellen auf der Strecke geblieben sind? Wie auch immer.
In diesem Moment sehe ich wie er sie auf den Arm nimmt und sie aus dem Wasser trägt. Das Wasser ist an diesem Tag aufgewühlt und hat Algen angespült. Anscheinend ekelt sie sich davor. Er befördert sie heldenhaft darüber hinweg. Mir wird plötzlich was bewusst: Nicht etwa, dass ich Algen abscheulich finde.

Das ist genau das was ich will. Ich möchte einen Partner der mich auf Händen trägt und mir bei meinen Ängsten zur Seite steht. Denn das habe ich verdient und nicht weniger. Ich gebe mich nicht mit halben Dingen zufrieden und gehe immer aufs Ganze. Ein wesentlicher Charakterzug einer Waage ist ihre Unentschlossenheit. Doch wenn sie weiß was sie will ist ihr kein Weg zu lang und zu schwer um es zu bekommen. Ich habe ihm alles gegeben, von mir, meiner Kraft und meiner Geduld. Ich sollte nicht mehr jemandem hinterweinen der es nicht schafft zu seinen Gefühlen zu stehen. Jemand der ewig ein Frosch bleiben wird, weil die Angst sich in einen Prinzen zu verwandeln zu groß ist. Eines Tages werde ich zu meinem tapferen Prinzen kommen…hoffentlich!


Zum Abschluss dieses Tages will ich mich mir etwas Kultur geben. Ich habe gelesen in der Nähe von S’illot soll es eine Burg geben. Dort soll man den schönsten Sonnenuntergang erleben. Gegen sieben verlasse ich das Hotel. Ich laufe an den Promenade entlang Richtung Norden (Was habt Ihr mit der echten Annette getan?). Ich gebe zu: ich habe auf dem Weg nach Arta  im Bus Ausschau gehalten und eine Ausschilderung entdeckt. Ich muss also immer nur gerade aus, am Strand von Sa Coma vorbei und den Schildern folgen. Nur werden die Schilder immer seltener bis irgendwann gar keine mehr vorzufinden sind. Es beunruhigt mich insofern, dass ich mich inzwischen in einer Dünenlandschaft befinde und außer Gestrüpp und Feldwege nichts zu sehen ist. Ich überlege schon Krümel zu hinterlassen um den Weg zurück zu finden. Ich versuche nicht in Panik zu geraten. Ich bleibe einfach auf dem Hauptweg und es wird ein Kinderspiel sein.

Eine drei viertel Stunde später bin ich endlich an meinem Ziel. Die Burg! Naja, eigentlich ist es nicht mehr als ein Turm mit einem Burggraben.  Wie ich rausfinde ist es ein Wehrturm aus dem siebzehnten Jahrhundert, der die Mallorquiner vor Seeräubern und afrikanischen Piraten schützen sollte.























Der Aussichtspunkt ist ein Traum! Außer mir sind nur ein Pärchen und eine kleine Gruppe Motorradfahrer da. Der Besitzer des Biergartens kann sich nicht über Stress wegen Überfüllung beklagen.

Es ist inzwischen kurz vor acht und es ist noch strahlend hell. Im Hotel servieren sie bis neun Abendessen. Meine Überlegung: entweder ich warte auf den Sonnenuntergang oder ich stille meinen unersättlichen Hunger. Die Entscheidung ist nicht einfach. Oder doch? Ich mache mich auf den Rückweg. Ich habe Hunger!