Tag 5


Dienstags ist Markttag in Arta.

Und anders als am Vortag muss ich keine einundeinhalb stunden auf einen Bus warten (was ganz gut ist, denn es fährt nur der eine Bus an diesem Morgen). In dieser Hinsicht fühle ich mich hier sehr wohl muss ich gestehen. Immerhin bin ich fern von deutscher Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit aufgewachsen. Über den Busfahrer der an jeder Haltestelle die Touristen mit einem „Nächster Bus!“ vertröstet, nicht wissend ob ein nächster Bus kommt (oder sogar wohl wissend, dass keiner kommt) kann ich schmunzeln.

Der Markt in Arta besteht eigentlich aus vier Teilen. Der erste Platz auf den man stößt bietet Kleidung, Taschen, Blumen, Modeschmuck und viel Raum zum handeln.

Von dort gelangt man in die Markthalle wo der gewöhnliche Obst- und Gemüsemarkt ist. Ich gehe erst gar nicht weiter weil ich dahinter den Fleisch- und Fischmarkt vermute. Mir ist nicht nach blutenden Kalbsköpfen und stinkendem Fisch. Etwas weiter entdecke ich Hühner und Vögel in Käfigen. Die lebende form von Tieren ist mir doch lieber.

Auf einem anderen Platz werden handgefertigte und artisanale Produkte angeboten (Bastwaren, Gewürze, Seifen und Schmuck aus der Region). Das ganze wird von drei musizierenden Indios untermalt. Nicht gerade typisch mallorquinisch aber unterhaltsam.

Dann ist da noch die Straße mit den ganzen kleinen Geschäften: von der Immobilienagentur die traumhafte Luxusunterkünfte zu weniger traumhaften Preisen in der Gegend anbietet, zu „Georg’s Feinkostgeschäft“ (ein deutscher, der in Arta „Genuss und Lebensfreuden“ verkauft) über dem originell und bunt eingerichtetem Kunsthandel.

Dies ist die perfekte Gelegenheit Souvenirs und Mitbringsel zu kaufen für meine Freundinnen und meine gutherzige Arbeitskollegin. Man sagt mir nach ich mache schöne Geschenke. Ich habe meistens eine Idee bzw. finde immer was. Und so ist es auch heute.

Ein Tag der Glauben schenkt.

                                     In Arta befindet sich auch die
Wallfahrtskirche Sant Salvador.

Es sind einige Stufen zu bezwingen bis ich den tollen Aussichtspunkt erreiche. Doch erst muss ich an diesem knuffigen Vierbeiner vorbei. Ich nenne ihn den Wächter von Sant Salvador.
Er knurrt jeden an der zu den Stufen will. Außer mich. Wahrscheinlich weil ich nicht wie die Anderen an ihm vorbei laufe ohne ihn zu beachten. Er scheint mich zu mögen. Und er würde mir bestimmt auch seinen Namen verraten könnte er sprechen.

               
Ich bin nie besonders gläubig gewesen, geschweige denn religiös. Meine Begegnungen mit der Kirche haben sich in meinem bisherigen Leben auf meine Taufe und die gelegentlichen Besuche in der Kirche zu denen mich meine Großmutter als Kind schleppte begrenzt. Ich habe das Bedürfnis sie zu betreten. Es ist dunkel und es riecht modrig. Der Raum ist ziemlich klein und von Kerzen beleuchtet. Ich laufe den Mittelgang hinauf und bleibe bei der zweiten Bankreihe stehen. Als wäre es das natürlichste der Welt macht meine Hand das Kreuzzeichen nach.

Ich setze mich und sofort beginnt meine Tränendrüse an zu arbeiten. Ich weine hemmungslos vor mich hin ohne mich um die Person zu kümmern die wenige Reihen hinter mir sitzt. Als hätte dieser Ort mein ganzes Leid hervor beschworen.

Natürlich frage ich: wenn es Dich, den Allmächtigen wirklich gibt dann sag mir warum? Warum hast Du mich diese Begegnung machen lassen? Warum hast Du mich diese Gefühle kennen lernen lassen? Warum hast Du mich durch all diese Hürden geschickt, wenn es am Ende doch um sonst war? Warum hast Du es zugelassen, dass ich bis an meine Grenzen gehe? Warum sollte ich mich für jemanden aufopfern, der uns keine Chance gibt? Warum all diese Schmerzen?

Es muss doch irgendein Grund dafür geben. Den möchte ich wissen. Wenn ich weiß wozu das Alles gut sein soll kann ich vielleicht besser darüber hinweg kommen.
Ich halte kurz inne, warte auf eine Antwort, auf ein Zeichen.
Nichts. Und die Tränen rollen noch dicker meine Wangen hinunter.

Vielleicht sollte ich beten. Nur wofür? Dafür, dass er sich doch zu mir und uns bekennt? Nein, es ist vorbei. Außerdem glaub ich nicht an Wunder. Ich weiß es: ich möchte um Kraft bitten. Kraft um diese Zeit zu überstehen, um schnell wieder nach vorne schauen zu können, um irgendwann keinen Hass und Schmerz mehr zu verspüren wenn ich dieses Stück Häuflein auf der Arbeit sehe.

Ich frage mich ob meine Bitte ankommt. Wie funktioniert das mit dem beten überhaupt? Viele Menschen glauben Gott kann alle Wünsche erfüllen. Ich glaube er zeigt uns nur den Weg und lenkt uns. Handeln müssen wir selbst. In dem Moment kommt mir der Gedanke: „Wie soll Gott Deine Gebete erhören wenn Du nicht selbst in Dich hinein hörst? Bete um Kraft und Gott wird dir zeigen wo Du sie in Dir findest“
 
Ich weiß, dass ich diese Kraft besitze. Ich habe in all den Monaten Stärke und Geduld bewiesen. Immer wenn ich dachte ich kann nicht mehr habe ich doch noch einen Weg gefunden durchzuhalten. Ich spüre in diesem Moment wie ein Licht in meinem Herzen aufgeht, als würde ein Stück vom Himmel sich darin befinden. Mit roten Augen,  Salz im Mund und ein Lächeln verlass ich Sant Salvador.



"Das war ein süßer Spontantreff." - "Entschuldigung?" - "Auf diese Weise lernen sich zwei Figuren in einem Film kennen. Sagen wir, ein Mann und eine Frau brauchen etwas, was sie zum Schlafen anziehen. Und sie gehen beide in die gleiche Männerabteilung für Pyjamas. Der Mann sagt zum Verkäufer: Ich brauche nur die Hose. Und die Frau sagt: Ich brauch nur das Oberteil. Sie sehen sich an und das ist das süße Spontantreffen."

Arthur Abbot in „Liebe braucht keine Ferien“

Naja ganz so süß ist unser Zusammentreffen nicht. Ich bin ihm zwei Tage zuvor schon aufgefallen. An diesem Abend sieht er mich an der Promenade spazieren und kommt ganz „zufällig“ an mir vorbei.
„Hablas espanol?“ fragt er.
„German or english?“
„My english is terrible” sagt er lachend. “Want to drink something?”
Eine Minute später sitze ich mit Rafa, dem Rettungsschwimmer von S’illot vor einer Bar und schlürfe Bier. Rafa ist auf den ersten Blick nicht mein Typ: er ist schlank, braun gebrannt, trägt die Haare kurz geschoren und hat grüne Augen. Ich weiß das klingt doch hinreißend. Mein Problem ist dass ich offenbar nicht auf die klassischen Schönheitsmerkmale abfahre, sondern mehr auf reifere Männer mit Bauch stehe. Dennoch ist mein David Hasselhoff  alles andere als langweilig. Er ist stark tätowiert, trägt zwei kleine weiße Tunnel in den Ohren und hat interessante Ansichten. Und er hat seine Geschichte. Er öffnet sich einer völlig fremden und erzählt mir von seinem Schmerz. Ich erzähle ihm aus meinem Leben, warum es mich hierhin verschlagen hat. Wir gehen in eine andere Bar, wo ich seine Freunde kennen lerne. Nach ein Paar Stunden schlägt er vor mich ins Hotel zu fahren, doch ich lehne ab. Ich schätze er würde sich gerne für einen Abend ablenken aber ich bin nicht soweit.

Jeder hat seine Geschichte. Jeder hat sein Leid.

 Jeder hat seine Hoffnungen. Jeder hat seine Angst.

Gemeinsam haben wir eine schöne Zeit.