Tag 3


06:15 zeigt mein iPod an.

Zuhause hätte ich mich wieder umgedreht und weiter geschlafen. Doch hier folge ich einem Drang nach draußen zu gehen, wo die Sonne aufgeht und die Wellen auf einen einsamen Strand treffen.

Trotz der frühen Stunde ist das Wasser angenehm warm.





                Ich schlüpfe aus meinem Kleid und genieße die Morgenruhe.

Ruhe ist das Stichwort. Deshalb bin ich hierher gekommen. Besser gesagt: deshalb bin ich aus Deutschland weg. Ich wäre auch nach Marokko oder Griechenland geflogen, Hauptsache raus. Weg von Saarbrücken, weg vom Alltag, von der Arbeit, weg von IHM.

Seit fast 6 Monaten geht das jetzt schon. Sechs Monate in denen ich bereitwillig einen Mann geliebt habe der eigentlich vergeben war. Ja, man könnte sagen: selber schuld. Man muss wissen: ich habe mich anfangs gegen ihn und meine Gefühle gewehrt. Doch ich hielt nicht lange Stand. Er ließ nicht locker. Wir hatten keine Affäre im klassischen Sinne. Ich habe körperlichen Kontakt lange abgelehnt. Wir haben uns auch nicht heimlich verabredet. In seltenen Fällen kam er nach seinem Dienst noch kurz zu mir. Ansonsten haben wir über Stunden geschrieben, telefoniert, auf der Arbeit Zeit miteinander verbracht. Eigentlich hab ich mich vorher immer an die Regel „Don’t fuck the company“ gehalten…bis er kam. Irgendwann kam es natürlich auch zu mehr. Kurz darauf zog er aus dem Haus seiner damaligen Lebensgefährtin aus. Seit diesem Moment ist nichts mehr wie vorher. Er ist verwirrt, quält sich mit Schuldgefühlen, weiß plötzlich seine Gefühle nicht mehr zu ordnen. Er rennt zu ihr, ist Tage später wieder bei mir, zeigt mir die kalte Schulter, entschuldigt sich eine Woche später für sein Verhalten usw.

               Seit über zwei Monate dauert diese Gefühlsachterbahn an. Wenige Tage vor meiner Abreise hat er was auch immer wir hatten beendet. Er muss bei ihr sein und er braucht Abstand von mir. Am nächsten Morgen bereut er es. Es heißt er will mich nicht verlieren, er sagt es geht nicht ohne mich und bittet um Verzeihung. Die Situation wird zunehmend unerträglicher. Der Schmerz wird immer größer mit jedem Mal wo er mich von sich wegstößt. Ich bin an meine Grenzen angelangt.

Ich habe auf seine letzte Nachricht nicht reagiert und beschlossen die Reise als Wendepunkt unserer Geschichte zu sehen.

Ich bezweifle meine Abwesenheit  wird etwas ändern. Ich werde seine Feigheit nicht besiegen. Ich muss akzeptieren, dass er seine Angst und seinen fehlenden Mut nie überwindet und es nie wagen wird aus seinem bisherigen Leben auszubrechen. Es gibt tatsächlich Menschen die ihre Bedürfnisse für Bequemlichkeit opfern. Und alles tun damit sie in den Augen der anderen gut da stehen. Ich bin Egoist und lebe das Leben das ICH will.

Ich tröste mich mit folgenden Worten:

„Wer versucht eine Blume zu besitzen wird ihre Schönheit verwelken sehen. Aber wer nur eine Blume am Feld anschaut wird sie immer behalten. Das hat mich der Wald gelehrt: Dass Du niemals mein sein wirst und ich Dich dafür immer haben werde.“

Der Magier in Brida von Paulo Coelho.

Mein Weg hat mich nach Mallorca an diesen schönen ruhigen Ort geführt, alleine. Ich habe in meinem bisherigen Leben noch keinen richtigen Urlaub gemacht. Mit richtigen Urlaub mein ich: in ein Hotelzimmer einchecken (es war ein großartiges Gefühl die Karte in das Schloss zu stecken und mein eigenes Zimmer zu betreten, selbst wenn es nur sechs Quadratmeter sind), morgens ein Frühstücksbüffet vorzufinden, mit einem kalten Getränk am Pool zu liegen und keinen Finger zu krümmen. Und das alles bezahlt von meinem eigenen Geld. Ich habe nicht wenig gearbeitet um mir diesen Luxus leisten zu können (denn das macht für mich Luxus aus, keine Sterne). Mich überkommt ein Gefühl von Stolz und Freiheit. Und ich bin froh dieses Gefühl für mich alleine zu haben, ihn in mich aufnehmen und genießen zu können. Ich brauche Zeit für mich selbst  und Abstand um mich mit bestimmten Dingen, Gefühlen und der Situation auseinander zu setzen. Weit weg von Zuhause.

Als hätte das Schicksal mir nachhelfen wollen verlor ich am saarbrücker Flughafen mein Handy. Somit kann ich die ganze Woche nicht telefonieren und bin auch für niemanden erreichbar. Nach dem ersten Moment des Ärgernisses erkenne ich mein Glück und nehme es gelassen. Nach meiner Rückkehr frag ich im Fundbüro an ob es abgegeben wurde. Wenn nicht, werde ich es auch überleben. Dann bleib ich halt so lange ohne Handy bis ich mir eines neues kaufen kann. Davon ist bisher bekanntlich noch keiner gestorben. Für den  Moment denk ich: das ist das Beste was mir passieren konnte. Es ist erfrischend befreiend nicht ständig mobil zu sein.

Ich will meine Zeit hier genießen, jede Sekunde auskosten und mit allen meinen Sinnen alle Eindrücken aufnehmen. Ich habe sowieso nicht viel Verständnis für Menschen die im Urlaub ihre Zeit mit konstanter Facebook Mitteilung verbringen. Fotos posten (vom Strand, vom Fisch der auf meinem Teller liegt, vom knackigen Hintern der gerade vorbei gelaufen ist), kommentieren, Kommentare liken, Status stündlich updaten, wieder kommentieren, Kommentare liken. Schon der Gedanke treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn! Ich konzentriere mich lieber auf mein reales Dasein, die virtuelle Welt kann eine Woche Mal ohne mich auskommen.

Ich habe vor meinem Urlaub noch eine Ladestation für meine Digital Kamera besorgt. Und obwohl die Linse sich nicht mehr von selber öffnet und der Zoom die meiste Zeit klemmt (sie hat irgendwann Mal eine Überdosis Orangensaft bekommen), macht sie super Bilder. Sie ist halt in die Jahre gekommen, wie ich. Wenn ich daran denke, ich werde in wenigen Tagen 31. Die Zeit vergeht erschreckend schnell. Nicht, dass ich mich alt fühle oder eine Veränderung bzw. Angst verspüre. Dennoch tauchen mit den Jahren die Fragen auf: Hab ich alles so gemacht wie ich es mir mit 18 vorgestellt habe? Lebe ich das Leben das ich mir erträumt habe? Habe ich was verpasst? Aber ich schätze das ist normal. Besonders wenn man  Single, unglücklich verliebt und Waage ist. Ansonsten  funktioniere ich wunderbar. Ich bin trotz allem in einem sehr guten Zustand, wie meine Kamera. Es ist okay Macken zu haben, anders als andere zu sein, anders als normal. Das macht doch den Reiz einer Kamera aus.