Montag, 23. September 2013

Elf Minuten

Es is jetzt schon einige Jahre her, dass ich das letzte mal in Brasilien war. Trotzdem, als Maria von ihrem kleinem Dorf in Brasilien erzählt, kommen sofort heimische Gefühle hoch. Ich seh mich durch die Straßen laufen, ich kaufe mir einen Acarajé und trinke Guaraná. Ach, ich vermisse es!
Das "Dorf" das ich kenne ist für brasilianische Verhältnisse ein relativ kleines Städtchen. Tatsächlich hat Itu soviel Einwohner wie die Landeshauptstadt in der ich lebe. Also doch kein Dorf!
Aber wie sie von der konservatien Umgebung und doch sehr christlichen Familie erzählt, von ihrem Arbeitgeber der sie zu ehelichen bedenkt...das kam mir alles sehr vertraut vor.
Später landet Maria, durch Verwirrungen die ich Euch nicht verraten möchte in der Schweiz, spezieller in Genf. Da dacht ich doch: heilige Guacamole, das ist schon leicht schräg. Denn wie es der Zufall will, war ich erst vor gar nicht all zu langer Zeit selber zum ersten mal in der Schweiz, spezieller in Zermatt. Wie sich diese kleine Gemeinde in diesem Tal zwischen den hohen Bergen eingebettet hat ist schier unglaublich. Es ist ein niedliches und schönes Fleck Erde. Als ich mich durch Marias Erzählungen blätterte, hatte ich die teuren Geschäfte vor Augen, und all diese Uhren die einem mit ihren Zeigern anstarren. Ich konnte die kühle Luft förmlich spüren und die kühlen Gesichtsausdrücke förmlich sehen, von der sie spricht. Sicher sieht Genf anders aus als Zermatt. Dennoch fühlte ich mich sofort in ihre Geschichte eingebunden.
Welche Maria? Brasilien? Schweiz? What the duck?
Worum es hier geht?

Elf Minuten
von Paulo Coelho
Für die ganz Ahnungslosen, es handelt sich um ein Buch.
 
 

Paulo, der selber aus Brasilien stammt, ist einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Schriftsteller unserer Zeit. Davor hatte ich schon Brida und Veronika beschließt zu sterben gelesen. Sein meist verkauftes Werk steht mir noch offen: Der Alchimist.
Zurück zu Maria. Erst muss ich erwähnen, dass meine beste Freundin und Herzensschwester mir diesen Roman zum Geburtstag schenkte. Und mit Unterbrechungen brauchte ich über ein Jahr um es fertig zu lesen. Es ist mir nicht weniger als zwei mal verloren gegangen, fand es aber immer wieder. Als wollte das Schicksal mir sagen "Du sollst es lesen aber erst wenn Du soweit dafür bist". Offensichtlich war letzten Monat die Zeit reif. Es lag urplötzlich wieder in meinen Händen. Und mein Geist war voll Ohr für diese Geschichte.
Okay, also Maria ist eine Prostituierte. Und wenn sie mir manchmal etwas weltfremd, kalt und emotionslos vorkommt...ist sie doch in ihrer Art alles zu hinterfragen und soviel wie möglich über die Welt zu erfahren und zu verstehen, auf ihre weise menschlich.
Wie es für diesen Autor üblich ist, gibt es genügend philosophisches und spirituelles. Immer wieder zwischendurch schloß ich die Augen und dachte über das gerade gelesene nach. Kann ich es nachvollziehen? Würde ich in der Situation auch so handeln? Find ich es unmoralisch?
Eine Passage traf mich wie ein Blitz.
Aus Marias Tagebuch, nachdem sie wieder zu Hause war.
Ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber kürzlich bin ich an einem Sonntag in die Kirche gegangen. Ich wollte zur Messe. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich in der falschen Kirche saß - es war eine protestantische Kirche.
Ich wollte gerade gehen, als der Pfarrer mit seiner Predigt begann, und weil ich nicht unhöflich sein und einfach davongehen wollte, blieb ich sitzen. Letztlich war es ein Segen, weil ich an diesem Tag Dinge zu hören bekam, die ich dringend nötig hatte. Der Pfarrer sagte in etwa:
"Alle Sprachen der Welt kennen dieses Sprichwort 'Aus den Augen, aus dem Sinn'. Nichts ist weniger wahr : Je weiter etwas weg ist, desto größer ist die Sehnsucht, desto stärker die Gefühle, die wir zu unterdrücken und zu vergessen versuchen. Leben wir im Exil, klammern wir uns mit jeder Faser unseres Gedächtnisses an unsere heimatlichen Wurzeln. Leben wir fern von unserer oder unserem Geliebten, erinnert uns jeder, der auf der Straße an uns vorbeigeht, an sie beziehungsweise ihn. Viele Bücher der Bibel und auch heilige Texte anderer Religionen wurden im Exil geschrieben, als eine Form von Suche nach Gott, nach dem Glauben, der die Völker vorantreibt, als eine Art Wallfahrt der auf Erden umherirrenden Seelen. Unsere Vorfahren wussten ebensowenig wie wir, was die Gottheit von uns im Leben erwartet, und aus diesem Nichtwissen heraus werden die Bücher geschrieben, die Bilder gemalt, weil wir nicht vergessen wollen und sollen, wer wir sind."
Am Ende des Gottesdienstes bin ich zum Pfarrer gegangen und habe mich bedankt. Ich habe ihm gesagt, ich sei Ausländerin und sei ihm dankbar, dass er mich daran erinnert habe, dass das was wir nicht sehen, doch dem Herzen nah bleibt. Und weil ich mein Herz spüre, gehe ich heute.
 
 
Es gibt gewisse Menschen, Schulfreundinnen, Ex-Freunde, Familie, die für ewig in meinem Gedächtnis verankert sind, und die ich immer vermissen werde.
Und es gibt Länder, Orte, nach denen ich mich immer wieder sehnen werde: Tunesien, twahachtek!
Und weil ich es spüre, werd ich Dich sobald es geht besuchen, egal wie sehr Du Dich verändert hast.
Am Ende dieses Buches wär ich gerne zu Paulo Coelho gegangen um mich zu bedanken.
Für die Erkenntnis und für dieses zauberhafte Buch.
 
Obrigado, Ihre Paulette.